Lehrer-Professionalität


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Categories : Vorbereitungsdienst

In diesem Artikel geht es um 9 Baustellen, die man kennen sollte, wenn man Lehrer werden will. Die meisten von ihnen wurden in der COACTIV-Studie identifiziert [Baumert et al, 2011].

Was müssen Referendare wissen? Vorschau gefällig? Die KOMPETENZ-Formel:

  • Kompetenzen und Fähigkeiten in beiden Fächern;
  • Organisationswissen über Schule und Vorbereitungsdienst;
  • Motiviere dich selbst und ziehe Deine SchülerInnen mit;
  • Pädagogisches und fachdidaktisches Wissen;
  • Emotionen und „Selbstregulation“;
  • Technik- und Medieneinsatz in der digitalen Schule;
  • Elterngespräche und effektive Beratung von Schüler*innen;
  • Neugier auf Deine Schüler erhalten und ihnen positiv gegenübertreten (Stichwort „Haltung“);
  • Ziele und Zeitmanagement.

Und vieles mehr. In weiteren Blogbeiträgen werden alle Bereiche aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Lassen Sie uns die 9 Wissensbereiche in diesem Artikel einen nach dem anderen einmal kurz anschauen.

K: Kompetenzen und Fähigkeiten in beiden Fächern

Junge Lehrkräfte haben zwei Fächer studiert und sind dafür Fachexperten. Aber oft fehlt Fachwissen zu bestimmtem „Schulstoff“, der nicht im Studium thematisiert wurde. Typisch ist, dass Informatiklehrkräfte im Studium viel zur Theoretischer Informatik gehört haben, aber nicht wissen, wie sie den Lehrplaninhalt „Office / Tabellenkalkulation“ sinnvoll unterrichten können.

Eine Besonderheit sind Quereinsteiger: Sie gelten oft als Fachexperten – schließlich haben Sie ein Fach „richtig“ studiert.

Aber damit bezieht sich das Fachwissen nur auf eines ihrer beiden Schulfächer.

Das zweite Fach wird zum Teil nur nach Affinität gewählt.

So hatte ich in meinen Informatik-Seminargruppen schon mehrfach studierte Mathematiker, die durch Berufstätigkeit in der Software-Branche Informatik als zweites Fach zugewiesen bekamen.

Schwierig daran ist, dass sich die Berufstätigkeit meist nur auf einen Teilaspekt des Faches bezog, z.B. Software-Entwicklung.

Andere für die Schulinformatik wichtige Teilgebiete des Faches fehlen.

Beispielsweise fehlen dann oft Kenntnisse in der Technischen Informatik oder der Theoretischen Informatik.

Auf ein tieferes Verständnis der Hintergründe kommt es an – Alltagswissen eines Erwachsenen allein reicht nicht aus, um vor den Schülern bestehen zu können!

Und auch wenn beide Fächer durch das Studium abgedeckt sind gibt es einen großen Unterschied zwischen akademischem Forschungswissen und dem Schulstoff.

O: Organisationswissen über Schule und Vorbereitungsdienst

Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat’s gemacht. – unbekannt –

Warum reagieren die Kolleginnen und Kollegen so ablehnend auf den innovativen Vorschlag, der kaum Mehraufwand bedeutet hätte?

Manchmal reagieren die altgedienten Kolleginnen und Kollegen ganz anders als es ein Neuer im System Schule erwartet hätte.

Der Schlüssel zum Verstehen liegt im Organisationswissen. Wie funktioniert Schule? Wie das Bildungssystem? Und was wird von einer angehenden Lehrkraft erwartet?

Dabei fallen Referendar*innen in der Schule oft durch neue Ideen und viel Engagement auf.

Und das ist gut so!

Fehlendes Organisationswissen fällt leider meist auf, wenn etwas nicht funktioniert. Zum Beispiel wenn eine wichtige Konferenz verpasst wird – aus Unwissen, dass man dort sein sollte.

Oder es findet eine wichtige Schulveranstaltung parallel zu einem Pflichtseminar statt: Wohin muss ich gehen?

Mein wichtigster Tipp: Bildet ein Team von Referendaren und tauscht Euch aus – im Lehrerzimmer oder per Messenger.

Und man muss wissen, wie das Bildungssystem gesteuert wird:

Durch die zunehmende Konkurrenz zwischen den Schulen experimentiert jede Schule mit Neuerungen.

Und muss viele davon mangels Akzeptanz wieder aufgeben. Die Innovationsbereitschaft vieler Kolleg*innen wird dadurch stark auf die Probe gestellt.

Die Gründe für eine ablehnende Haltung von Kolleginnen und Kollegen können sehr vielfältig sein.

  • „Haben wir schon mal versucht“
  • „Letztes Jahr haben wir schon ein neues Profil ausgearbeitet, um neue Schüler zu gewinnen – lass diese Maßnahmen doch erst mal wirken“
  • „Ich finde die Idee gut, aber das kann dieses Mal Kollege XY übernehmen, der sich bisher immer zurückgehalten hat“.

Das führt mich direkt zum M der KOMPETENZ-Formel.

M: Wie Sie selbst motiviert bleiben und die SchülerInnen mitziehen.

Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei. – unbekannt –

Mal ehrlich: Warum wollen Sie Lehrkraft werden? Sind es eher die Ferien und der sichere Arbeitsplatz? Oder der Enthusiasmus für das Fach?

Bei der Berufswahl werden extrinsische und intrinsische Motivation unterschieden.

Bei Lehrkräften gab in einer Studie von 2010 nur ein unbedeutender Teil extrinsische Gründe an, also Ferien und den sicheren Arbeitsplatz (Pohlmann und Möller 2010).

Noch wichtiger ist die Selbstwirksamkeit!

Lehrkräfte, die davon überzeugt sind, den Schüler*innen viel beizubringen, sind motivierter. Und sie haben die Fähigkeit, Stress besser zu bewältigen – Stichwort Resilienz.

Allerdings müssen sich gerade Quereinsteiger*innen fragen, ob es Enthusiasmus für das akademische Fach ist – oder Enthusiasmus für das Unterrichten des Faches. Und damit sind wir schon beim P der KOMPETENZ-Formel.

P: Pädagogisches und fachdidaktisches Wissen

Wie schaffe ich es, mein Fachwissen an die Schüler*innen zu bringen?

Das Schaffen geeigneter Lernsituationen ist dabei zentral.

Angefangen bei der Klassenführung, Aufgabengestaltung und Methodenwahl gilt es ebenso die Leistungsbeurteilung im Blick zu haben.

Und in jedem Fach gibt es typische Fehler, die Schüler*innen immer machen.

Erfahrene Lehrkräfte verfügen über ein großes Erklärwissen.

Damit schaffen sie es, die Schüler*innen individuell zu unterstützen. Gut ist, dass es in der heutigen Zeit sehr viele Anleitungen und Lernvideos zu bestimmten Themen gibt.

Klassenführung, kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung sind essentiell für guten Unterricht.

Diese Tiefenstrukturen – im Gegensatz zum sichtbaren Methoden- und Medieneinsatz – sind es, die Lernen fördern.

E: Emotionen und „Selbstregulation“

Jeden Tag vor der Klasse stehen, egal wie es einem geht.

Dazu ist die Entwicklung psychischer Kompetenzen, wie Frustrationstoleranz und Impulskontrolle, erforderlich.

Selbstregulation umfasst den mentalen Umgang mit den eigenen Gefühlen und die Fähigkeit, Absichten durch zielgerichtetes Handeln zu verwirklichen.

Wie bei der Motivation kann eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung dabei unterstützend wirken.

Dieses Selbstmanagement umfasst auch Fähigkeit der Selbstbeobachtung und Reflexion des erwünschten und unerwünschten Verhaltens.

T: Technik- und Medieneinsatz in der digitalen Schule

Wenn man genug Technik in die Schule stellt, wird der Unterricht besser. – unbekannt –

Dieses Zitat stimmt so natürlich nicht, auch wenn man in der Diskussion um Bildungsförderung oftmals diesen Eindruck bekommt. Dennoch: Das Strategie-Papier „Bildung in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz kommt langsam in der Schule an.

Früher wurde der Einsatz der neuen Medien oft kritisch auf den „Mehrwert“ geprüft.

Die Lernergebnisse der Schüler*innen mit neuen Medien mussten also besser sein als ohne sie. Das nachzuweisen ist schwierig bis unmöglich.

Mit dem Strategiepapier existieren nun aber konkrete digitale Kompetenzen, die in allen Fächern mitunterrichtet werden müssen.

Egal, ob der klassische Fachunterricht damit gefühlt besser wird oder nicht.

Das Digitale ist nun Lerngegenstand und Mittel, um (ggf. besser) zu lernen. Dabei kann Software ein Werkzeug für den Alltag sein, z.B. Bürosoftware, oder Werkzeug für den Fachunterricht, z.B. die Mathematiksoftware Geogebra.

Alle „Neuen“ im System Schule sind damit aufgefordert, neue Medien auszuprobieren und die entsprechenden Kompetenzen den Schüler*innen zu vermitteln.

Klar ist aber auch: Junge Lehrkräfte müssen durch Fortbildungsangebote darauf vorbereitet werden, neue Medien passend einzusetzen. Weder die Schüler*innen bringen sich den verantwortungsvollen Umgang und das Hintergrundwissen zu neuen Medien selbst bei (Stichwort: „Digital Natives“ gibt es nicht!), noch die Lehrkräfte (und wie man es unterrichtet).

E: Effektive Beratung von Schüler*innen sowie Elterngespräche

Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, Schulwechsel. Die Liste der Beratungsanlässe ist lang.

Und bei den jüngeren Schüler*innen sind immer auch die Eltern einzubeziehen und zu beraten.

Fachliches Wissen und Wissen über den Lernprozess ist eine Komponente. Aber auch Wissen über weiterführende Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten gehört dazu: Schulpsychologischer Dienst, Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialpädagogen, Familienberatungsstellen, Jugendberufsagenturen etc.

Für das individuelle Lernen sind Feedbackgesprächen eine der wirksamsten Unterstützungsmöglichkeiten.

Meist bezieht sich das Feedbackgespräch auf eine konkrete Aufgabe, den Lernprozess oder Lernstrategien. Es beinhaltet anerkennende und kritische Mitteilungen, die über Wörter und Körpersprache kommuniziert werden.

N: Neugier erhalten und Schüler*innen positiv gegenübertreten (Stichwort „Haltung“).

Welcher Lehrertypus wollen Sie sein?

Wollen Sie Wissen weitergeben?

Dabei besteht die Gefahr, dass Sie die Schüler*innen nur als passive Rezipienten wahrnehmen.

Oder wollen Sie Lernangebote machen, mit denen sich die Schüler ihre Welt selbst konstruieren?

Lernen ist dann ein aktiver Prozess, der auf konzeptuelles Verstehen abzielt. Das gute ist: Vermutlich vereinen Sie beide Seiten in sich.

Wichtig ist jedoch, dass Ihre Einstellung Ihre Begegnungen mit den Schüler*innen vorstrukturieren. Mein Tipp:

Wollen Sie neugierige Schüler*innen, seien Sie neugierig auf sie und ihre Ideen!

Z: Ziele und Zeitmanagement

Zeitmanagement ist Unsinn. Sie können die Zeit nicht managen – nur Ihr Verhalten. – Michael Kastner

Die eigenen Erwartungen zu erfüllen ist gar nicht so leicht. Und dann kommen noch die der Kolleg*innen, Schüler*innen, Eltern, Fachseminarleiter*innen, Konferenzleiter*innen und Schulleiter*innen dazu.

80:20-Regel und Eisenhower-Prinzip helfen, alles unter einen Hut zu bekommen.

Mein Tipp: Setzen Sie Prioritäten und unterscheiden Sie zwischen

  1. dringenden und wichtigen,
  2. dringenden, aber unwichtigen,
  3. wichtigen, aber nicht dringenden und
  4. weder wichtigen, noch dringenden Dingen auf der To-Do-Liste (Eisenhower-Prinzip).

Wenn Sie dann noch mit 80 Prozent zufrieden sind und Zeitdiebe identifizieren, sind Sie auf einem guten Weg.

Ach ja: Nein-Sagen hilft!

Fazit

In diesem Blog-Beitrag habe ich die KOMPETENZ-Formel mit 9 Baustellen vorgestellt, die jede Lehrkraft kennt.

Quellen

  • Baumert, Kunter, Blum, Klusmann, Krauss & Neubrand (2011). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften, kognitiv aktivierender Unterricht und die mathematische Kompetenz von Schülerinnen und Schülern (COACTIV) – Ein Forschungsprogramm. In: M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss & M. Neubrand (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften – Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (S. 7-25). Münster: Waxmann
  • KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“. 2017.
  • Zitat von Michael Kastner

Bildquellen im Artikel: Pixabay