Deutschland einig Hausaufgabenland
Deutschland einig Hausaufgabenland.
So beginnt Prof. Harald Lesch seine Youtube-Ansprache an die Hausaufgaben-Nation Deutschland.
Dabei entwickelt er eine Utopie davon, wie harmonisch das Familienleben ohne Hausaufgaben wäre.
Und er begründet, warum er Hausaufgaben nicht für sinnvoll hält.
Hier ein paar Argumente gegen Hausaufgaben – nicht nur aus dem Video:
- Die empirische geprüfte Wirksamkeit von Hausaufgaben ist gering (Platz 88) nach Hattie;
- Hausaufgaben bedeuten Stress für Eltern undKinder;
- Sie verstärken soziale Ungleichheit dadurch, dass meist nur privilegierte Kinder die notwendige Unterstützung erhalten;
- Die Lehrpläne sind überfrachtet und Hausaufgaben dienen eher dem Lehrer, um – scheinbar – durch den Stoff zu kommen.
Aber es gibt auch Gründe für Hausaufgaben:
- Schüler*innen müssen Fertigkeiten einüben;
- Hausaufgaben können eine „sinnvolle“ Nachmittagsbeschäftigung sein;
- Hausaufgaben sind ein weiterer Baustein zur Notenfindung und Diagnostik;
- Sie sind eine „sinnvolle“ Bestrafung.
Schauen wir uns die Gründe für und gegen Hausaufgaben genauer an:
# Die empirische geprüfte Wirksamkeit von Hausaufgaben ist gering (Platz 88) nach Hattie
Bei der Hattie-Studie lohnt es, genauer hinzuschauen.
Hausaufgaben stehen auf Platz 88 im Ranking (Effektstärke d= 0.29).
Anders ausgedrückt: Werden zwei Klassen verglichen, so wird diejenige, die Hausarbeiten verwendet, in 58 von 100 Fällen effektiver arbeiten. Dabei scheinen Hausaufgaben am Gymnasium hilfreicher als in derGrundschule. Dort muss jedoch der Grundstein für selbständiges Arbeiten gelegt werden.
# Hausaufgaben bedeuten Stress für Eltern und Kinder
Als wir das Thema zuletzt im Fachseminar diskutierten, wurden einige der Argumente bestätigt:
Gerade die Teilnehmer, die ebenfalls Eltern waren, gaben die Rückmeldung, dass die Belastung des Familienlebens spürbar ist.
Der eine lässt sein Kind maximal eine Stunde Hausaufgaben machen und schreibt ein paar (nette) Zeilen an die Lehrkraft, falls die Hausaufgaben in der Zeit nicht schaffbar sind. Dabei ist klar, dass sich die Dauer von Hausaufgaben bei Grundschülern und Abiturienten unterscheiden darf. Feste Regeln gibt es nicht.
Zwischen ca. 30 min in der Grundschule und 90 min in der Oberstufe höre ich öfters als Faustregel.
Immer bezogen auf einen Schultag.
Ein anderer Teilnehmer (ohne Kinder) meint, man könne die Kinder ja mittags etwas eher von der Ganztagsbetreuung abholen, sie zwei Stunden spielen lassen und anschließend die Hausaufgaben machen lassen. Die Lebensentwürfe vieler Eltern passen jedoch oft nicht dazu, da es für sie aus beruflichen Gründen einfach nicht möglich ist, die Kinder früher abzuholen.
# Sie verstärken soziale Ungleichheit dadurch, dass meist nur privilegierte Kinder die notwendige Unterstützung zu Hause erhalten.
Die PISA-Studie bescheinigt Deutschland noch immer großen Nachholbedarf bei der Bildungsgerechtigkeit. Dadurch, dass in vielen Familien mittlerweile beide Elternteile berufstätig sind, wird die Hausaufgabenbetreuung in der Familie oder durch externe Dienstleister zur finanziellen Frage.
# Die Lehrpläne sind überfrachtet und Hausaufgaben dienen eher dem Lehrer, um – scheinbar – durch den Stoff zu kommen
Warum reicht es eigentlich nicht, sich in der Schule mit dem Schulstoff zu beschäftigen?
Es gibt so viel mehr zu lernen als das, was in der Schule in die Fächer gepackt wurde.
Mit Freunden spielen. Einen Sport ausüben. Ein Musikinstrument lernen. Lesen. Videospiele spielen. Eben alles andere, was unsere Kultur ausmacht.
Ein Grund ist, dass die Lehrpläne, Fachanforderungen und Bildungsstandards trotz der Betonung auf Kompetenzen einen großen Wissenskanon beschreiben.
Mit klarer Definition, wann Schüler*innen etwas können soll. Und dem Lehrer bleibt nichts anderes übrig, als das Ziel zumindest formal zu erreichen. Das Aufgeben von Hausaufgaben dient somit auch dazu, das Gewissen des Lehrers zu erleichtern und die Verantwortung auf die Schüler*innen zu übertragen.
# Schüler*innen müssen Fertigkeiten einüben
Das Üben ist ein wichtiger Baustein des Lernens. Zum Beispiel ist das Üben eine von 4 Komponenten des 4-Komponenten-Modells des Instructional Designs, dessen Wirksamkeit empirisch überprüft ist. Auch in der Grundschule müssen Schüler*innen Fertigkeiten wie Lesen und Schreiben und Rechnenimmer wieder üben.
Wichtig ist dabei sicherlich die Frage, ob das Üben immer zu Hause stattfinden sollte.
Denn wie oben geschrieben, erhalten nicht alle Kinder dort die notwendige Unterstützung.
In letzter Zeit verzeichnen Unterrichtskonzepte wie „Flipped Classroom“ große Erfolge.
Zumindest für etwas ältere Lernende. Dabei wird der traditionelle Unterricht umgekehrt: Die Informationsphase erfolgt dabei zu Hause als Hausaufgabe und das Üben unter Aufsicht im Klassenzimmer.
# Hausaufgaben als „sinnvolle“ Nachmittagsbeschäftigung
„Meine 16 bis 18-jährigen Schüler spielen sonst nachmittags nur Computerspiele – ich wäre doch doof, das Potential nicht für meinen Unterrichtzu nutzen“.
Das Argument ist tatsächlich gerade bei älteren Schüler*innen nicht von der Hand zu weisen ist. Auch wenn geguckt werden muss, wieviel Zeit die Schüler*innen täglich mit Schule und Hausaufgaben verbringen.
Das Gehirn braucht auch Entspannungsphasen.
Und schließlich gibt es Schulen, in denen die Lehrer verpflichtet sind, Hausaufgaben zu stellen. Damit die Schüler*innen am Nachmittag im Rahmen der „Verlässlichen Ganztagsschule“ etwas zu tun haben. Dabei ist spannend, wie unterschiedlich solche Betreuungsangebote am Nachmittag mit dem Thema Hausaufgaben umgehen. Ist es an der einen Schule Teil des Konzeptes, dass die Hausaufgaben intensiv betreut werden, legen andere Einrichtungen den Wert auf Bewegung und Ausgleich zum Herumsitzen am Vormittag. Oder es wird ein Mittelweg gegangen: Das Kind kann in einer festen Zeit Hausaufgaben unter Aufsicht erledigen, aber wenn es zu erschöpft ist oder einen zu großen Bewegungsdrang hat, wird darauf nicht bestanden.
# Hausaufgaben als Baustein zur Notenfindung und Diagnostik
Lehrer sind verpflichtet Schüler*innen zu benoten. Die An- oder Abwesenheit von Hausaufgaben ist dabei eine Möglichkeit, Zuverlässigkeit und Sorgfalt zu beurteilen. Und bestenfalls zu sehen, welche Aufgaben ein*e Schüler*in noch nicht gut kann. Aber es stellt sich schon die Frage, wie aussagekräftig das bei Hausaufgaben ist.
Wird nicht eher die Leistung der Eltern oder der Hausaufgabenhilfe bewertet?
Ein weiterer Punkt gegen Hausaufgaben: Hausaufgaben werden oft nur abgeschrieben. Sei es von den „Fahrschülern“, die ihre langen Busfahrten zur Schule für das Übertragen ins eigene Heft nutzen. Und noch häufiger:
Die Hausaufgaben werden per WhatsApp über den Klassenchat frei Haus geschickt.
Man darf es nicht unterschätzen, dass dies gerade für (freiwillig oder unfreiwillig) strebsamere Schüler*innen eine einfache Möglichkeit ist, ihre soziale Stellung in der Gruppe zu festigen.
# Hausaufgaben als „sinnvolle“ Bestrafung
Konditionierung darf im Schulleben nicht unterschätzt werden.
Schüler*innen lernen sehr schnell, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und sind Meister darin, scheinbar mitzumachen.
Allerdings muss damit gerechnet werden, dass „Strafarbeiten“ nur sehr oberflächlich bearbeitet werden.
Wirksamer ist es, erwünschtes Verhalten zu belohnen.
Stichwort positive Verstärkung.
Fazit
Die Gründe für und gegen Hausaufgaben sind vielschichtig.
Letztendlich kommt es sowohl auf die Jahrgangsstufe, die Belastung der Schüler*innen durch andere Fächer, das generelle Hausaufgabenkonzept der Schule und jeden einzelnen Schüler bzw. sein häusliches Umfeld an, ob Hausaufgaben positiv wirken.
Wichtig ist sicherlich die Frage, was genau die Schüler als Hausaufgabe machen sollen: Sind es „Türmchen“-Aufgaben, also sich stumpf wiederholende Aufgabenstellungen wie sie im Mathematikbuch der ersten Klassen vorkamen oder vorkommen?
Oder sind es Lernaufgaben, um sich Neues zu erschließen?
Sollen im Rahmen des „Flipped Classrooms“ zu Hause neueDinge gelesen oder in einem Video gesehen werden, um dann in der Schule das Anwenden unter Aufsicht des Lehrers zu machen?
An Berufsschulen wiederum ist es oft so, dass die Auszubildenden nach der Schule noch in den Betrieb fahren, auch wenn sie dazu gesetzlich nicht verpflichtet sind. Ob der Betrieb das inoffiziell verlangt oder die Auszubildenden ihr Team in der Firma unterstützen wollen ist dabei schwer herauszufinden.
In jedem Fall aber werden sie in dem Fall die Hausaufgaben als letztes auf ihrer Prioritätenliste haben.
Mein Tipp: Überlege für Dich, welcher Typ Lehrer Du bist und wie Du Hausaufgaben in DeineLeistungsbewertung einbeziehen willst.
Überlege Dir, ob Du sie angemessen kontrollieren kannst. Sei konsistent. Beachte die Belastung durch andere Fächer.
Ich selbst gebe insgesamt wenig Hausaufgaben. In der Berufsschule gar nicht, aber im Gymnasium gelegentlich. Dabei habe ich die besten Erfahrungen gemacht mit Hausaufgaben, die länger zurückliegende Themen zur Klausurvorbereitung aufgreifen. Die Schüler*innen sind bei diesen Aufgaben meist nicht überfordert, da sie das Vorgehen prinzipiell kennen. Aber sie sind auch nicht gelangweilt, da sie auch wieder einiges vergessen haben. Und der Zweck sich hinzusetzen leuchtet unmittelbar ein.
Fragen: Wie wichtig sind Dir Hausaufgaben? Wie setzt Du sie für Deinen Unterricht ein? Schreibe einen Kommentar.
Quellen:
Harald Lesch: Weg mit den Hausaufgaben: https://www.youtube.com/watch?v=RcPtFgp-xmU
Hattie: https://visible-learning.org/de/hattie-rangliste-einflussgroessen-effekte-lernerfolg/
Hattie, J: Lernen sichtbar machen. Kapitel 2. Das Vorgehen. Schneider Verlag Hohengehren. 2014